DER AKTUELLE KOMMENTAR VON ROLAND KOCH, VORSITZENDER DER LUDWIG-ERHARD-STIFTUNG

Weichenstellung für Bundeshaushalt

Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte seinen Ministerkolleginnen und -kollegen ein wenig mehr Zeit gegeben, die Zahlen für den Bundeshaushalt 2025 anzumelden. In wenigen Tagen läuft die Frist ab. Dann werden wir ein viele Wochen anhaltendes Ringen um Zahlen sehen. Selbstverständlich werden alle Ressorts jedes kleine Förderprogramm auf den Kopf stellen, um nach zusätzlichen Einsparmöglichkeiten zu suchen. Man kann nur auf ausreichende Kreativität hoffen, einerseits Ausgaben einzusparen, um andererseits auf neue Entwicklungen reagieren zu können.  Die wirklichen Herausforderungen sind damit aber nicht zu bewältigen. Es steht viel auf dem Spiel, denn es müssen Herausforderungen angegangen werden, die das Einspar-Management im Tagesgeschäft überfordern.

Bundesrechnungshof warnt vor gefährlichen Entwicklungen

Der Bundesrechnungshof hat die gewaltigen Herausforderungen in einem in der letzten Woche vorgestellten Papier eindrucksvoll und korrekt beschrieben:

  • Die künftige Finanzierung der militärischen Verteidigungsfähigkeit Deutschlands über das Sondervermögen Bundeswehr hinaus ist unsicher.
  • Die Finanzierung des klimaneutralen Umbaus von Gesellschaft und Wirtschaft ist nach Wegfall der in den Klima- und Transformationsfonds übertragenen 60 Milliarden Euro unklarer denn je.
  • Langfristige Tragfähigkeitskonzepte für die Sozialversicherungen fehlen weiterhin, insbesondere mit Blick auf die demografische Entwicklung.
  • Der Bundeshaushalt bleibt versteinert: Der Anteil der fest gebundenen Ausgaben liegt weiter bei 90 Prozent. Die verbleibenden 10 Prozent laufen Gefahr, durch steigende Zinsausgaben weiter zu schrumpfen.
  • Eine Verbesserung der Einnahmenbasis ist nicht in Sicht. Der Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen sowie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung kommen nicht voran.

Der Rechnungshof kann das in konkrete Zahlen gießen:

Im Schlüsseljahr 2028

  • werden die Tilgungsverpflichtungen aus den Corona- Notlagenkrediten mit rd. 9,2 Milliarden Euro jährlich fällig – für die folgenden 30 Jahre,
  • wird das Sondervermögen Bundeswehr voraussichtlich ausgeschöpft sein. Das politisch zugesagte NATO-2 Prozent-Ziel muss dann vollständig aus dem Bundeshaushalt bestritten werden: das wäre ein Anstieg von 52 Milliarden Euro auf bis zu 85 Milliarden Euro in 2028.
  • Mit rund 45,8 Prozent des Haushaltsvolumens 2024 dominieren die weitgehend auf gesetzlichen Ansprüchen und Leistungsversprechen beruhenden Sozialausgaben den Bundeshaushalt, wobei eine Steigerung um nur ein Prozent mehr als 2,5 Milliarden Euro zusätzliche Belastung erzeugt.

Große Herausforderungen brauchen prinzipielle Entscheidungen

Man kann daran erkennen, dass die nationale Politik tatsächlich vor epochalen finanziellen Herausforderungen steht. Der politische Streit ist deshalb notwendig und die Zeit der Formelkompromisse ist ebenso vorbei, wie die Hoffnung, mit mikrochirurgischen Eingriffen über alle Haushalte die Lücke schließen zu können. Daher geht es nach meiner Meinung nicht ohne einige grundsätzliche Festlegungen. Da stellt sich die Frage, ob und wie es für diese Grundsätze eine politische Mehrheit in der Regierung, im Parlament und in der Bevölkerung gibt. Bequem wird es bestimmt nicht, denn

  • Konsum darf im Staatshaushalt nicht über Schulden finanziert werden. Gleichzeitig müssen aus den laufenden Einnahmen auch die notwendigen Investitionen finanziert werden. Das „feste Korsett“ der Schuldenbremse, das ja faktisch erst durch das Bundesverfassungsgericht eingeführt wurde, muss bestehen bleiben. Jede Aufweichung würde die ohnehin beträchtlichen öffentlichen Ausgaben zu Lasten der kommenden Generationen weiter in die Höhe treiben.
  • die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und seiner Nachbarn hat oberste Priorität. Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten allein die Beschaffung von Munition leichtfertig unterblieben ist, wird es zu langfristigen zusätzlichen Belastungen kommen.
  • ohne Verringerung des Anstiegs der öffentlichen Zuschüsse zu den Systemen der sozialen Sicherung kann es keine Lösung geben. Das wird es notwendig machen, auf einige vom Steuerzahler finanzierte Sozialleistungen zu verzichten. Das gegenteilige Versprechen des Bundeskanzlers ist nicht haltbar.
  • da Subventionen weiter gekürzt werden müssen, werden kurzfristige Impulse in Form von degressiven Abschreibungen, Steuerfreiheiten für Veräußerungsgewinne bei StartUps sowie steuerliche Begünstigung von Überstunden und Altersarbeit, unverzichtbar sein. Wenn damit ein erhöhtes Wachstum zusätzliche Einnahmen generiert, muss in einem zweiten Schritt eine generelle Steuerreform angegangen werden.
  • schon aus symbolischen Gründen müssen in den öffentlichen Verwaltungen sofort Stellenbesetzungssperren und das Ziel einer Reduzierung der Stellen um mindestens zehn Prozent bis 2028 verbindlich gemacht werden.

Die Bedeutung einer „Wirtschaftswende“

Ohne Maßnahmen, die Bundesfinanzminister Christian Lindner zurzeit als „Wirtschaftswende“ bezeichnet, ohne verlässliche Energieversorgung, ohne mutigen Umgang mit Daten als Rohstoff der Wirtschaft, ohne einfache Genehmigungsverfahren sowie einen schnellen Abbau von Bürokratie, wird es nicht funktionieren. Ein gemeinsamer europäischer Markt für Finanzdienstleistungen könnte bei der privaten Finanzierung sehr helfen. Die Konzentration auf privates internationales Kapital würde endlich Schluss machen mit dem Glauben, der Zugang zu staatlichem Geld und die damit verbundenen Staatsschulden seien die beste Zukunftssicherung. Die Zukunft unseres Wohlstandes hängt nicht am Bundeshaushalt, sondern an der Erwartung von Bürgern und Investoren, dass sich der Einsatz ihres eigenen Geldes für die Projekte der Zukunft lohnt.

Übrigens: Die für das Jahr 2024 eingeplanten Zinsausgaben betragen 37,4 Milliarden Euro – die im Bundeshaushalt ausgewiesene Nettokreditaufnahme im Jahr 2024 beträgt 39 Milliarden Euro. Damit werden die aufgenommenen Kredite rechnerisch fast vollständig für Zinszahlungen benötigt. Findet die Regierung die Kraft, aus diesem Zirkel auszusteigen?