Aktueller Kommentar von Dr. Koch

Staatszuschuss für alle Lebenslagen? 

In diesen Tagen erleben wir wieder einmal eine Diskussion über unser Rentensystem. Dabei geht es nicht um kostendeckende Beiträge der Versichertengemeinschaft, sondern ausschließlich um die Höhe des Zuschusses aus dem Staatshaushalt. Ohne ihn wäre die Rentenkasse schon seit Jahren zahlungsunfähig. Die staatlichen Zahlungen binden aktuell 92,6 Milliarden Euro, das sind schon heute mehr als 20 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Aber das scheint die Mehrheit der Wähler nicht sehr zu interessieren.  

Die gesetzliche Rentenversicherung ist kein Einzelfall. Deutschland ist auf dem Weg zu einer Wirtschaft, die kaum noch ohne staatliche Unterstützung existiert. Ob Deutschland-Ticket, Prämien für Elektroautos, künstlich gesenkte Strompreise, reduzierte Mehrwertsteuer in der Gastronomie, milliardenschwere Hilfen für große Industrieansiedlungen, usw. – immer mehr Bereiche hängen von kontinuierlichen Förderprogrammen ab. Dieser Trend ist tiefgreifend und gefährlich, denn er verändert nicht nur die Struktur unserer Wirtschaft, sondern auch die Funktionsweise unserer demokratischen Gesellschaft. 

Die Zahlen zeichnen ein klares Bild. Der Kieler Subventionsbericht schätzt das Gesamtvolumen deutscher Subventionen 2024 auf 285,3 Milliarden Euro, etwa 6,6 Prozent des deutschen BIP. Allein der Bundeshaushalt enthält 127,3 Milliarden Euro an Finanzhilfen. Subventionen sind damit längst kein Randphänomen mehr. Sie sind Kernbestandteil unserer Wirtschaftsordnung geworden – und sie wachsen weiter. Ein Blick auf konkrete Beispiele zeigt das Ausmaß. Das Deutschland-Ticket wird seit 2023 mit jährlich rund 3,45 Milliarden Euro gestützt. Bund und Länder tragen die Verluste der Verkehrsbetriebe jeweils mit 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das Angebot hat Vorteile, keine Frage, doch es führt dazu, dass öffentlicher Verkehr nicht mehr über Effizienz und Angebot konkurriert, sondern nur noch dank staatlicher Dauerfinanzierung funktioniert. 

Die E-Auto-Prämie ist ein weiteres Beispiel. Bis zu 4.500 Euro Förderung pro batterieelektrischem Fahrzeug wurden ausgezahlt. Insgesamt wurden etwa zwei Millionen Elektroautos mit rund 9,5 Milliarden Euro gefördert. Dazu kommen weitere steuerliche Anreize für Unternehmen, die E-Fahrzeuge anschaffen. Die Möglichkeit, 40 Prozent des Fahrzeugwerts sofort abzuschreiben, kostet den Staat jährlich weitere hundert Millionen Euro. Diese Maßnahmen mögen kurzfristig den Absatz steigern, aber sie verleiten Unternehmen und Konsumenten zu Entscheidungen, die ohne Förderung nicht getroffen würden.  

Selbst der Strompreis wird inzwischen über staatliche Mittel stabilisiert. Laut Kieler Bericht sind 10,6 Milliarden Euro vorgesehen, um Haushalte und Wirtschaft zu entlasten. Auch hier wird nicht das Problem gelöst – nämlich hohe Energiepreise aufgrund fehlender Investitionen und teurer Regulierung –, sondern die Symptome werden subventioniert. 

Diese chronische Subventionslogik hat Folgen, die weit über die öffentlichen Finanzen hinausgehen. Sie verändert das Verhältnis von Bürgern, Politik und Wirtschaft. Wo früher der Grundsatz galt, dass jeder Wirtschaftsbereich sein Geld selbst verdienen muss, entsteht inzwischen eine Kultur politisch organisierter wirtschaftlicher Abhängigkeit. Ludwig Erhard warnte früh davor. „Es ist nicht die Aufgabe des Staates, unmittelbar in die Wirtschaft einzugreifen … wenn der Staat sich selbst als Unternehmer betätigt, passt das nicht in das Bild einer auf unternehmerischer Freizügigkeit beruhenden Wirtschaft.“ Genau dieses Denken scheint heute schon fast als exotisch zu gelten. 

Der Subventionsstaat verändert die Risikokultur  

Das neue Muster ist durch die Krisen verstärkt worden. In der Finanzkrise vor fast zwanzig Jahren kostete die Rettung der Banken jedenfalls zunächst fast 500 Milliarden Euro (von denen mehr als 60 Milliarden netto beim Steuerzahler hängen blieben). Nach COVID waren Förderprogramme für alle fast selbstverständlich. Das setzte sich beim Thema Energie in der Ukrainekrise nahtlos fort. So wurden aus er Sicht vieler betroffener Bürger und Unternehmen Krisen schlicht zum Eintrittsfall für einen Entschädigungsanspruch. Wer sich auf staatliche Förderung verlassen kann, wer Anspruch auf Ausgleich hat, wann immer Unvorhergesehenes geschieht, entwickelt eine Mentalität der Absicherung statt der Innovation. Unternehmen optimieren Förderanträge statt Geschäftsmodelle. Branchen berechnen, welche Lobby am besten wirkt, statt wie sie effizienter werden. Bürger erwarten zunehmend einen Ausgleich für jeden Preisschock – egal ob beim Strom, beim Nahverkehr oder bei der Altersvorsorge. 

Das ist nicht nur teuer, es verändert das Denken einer Gesellschaft. Risiko wird nicht mehr als notwendiger Bestandteil von Fortschritt gesehen, sondern als etwas, das man politisch kompensieren muss. Damit werden sowohl die Innovationskraft als auch die Anpassungsbereitschaft ausgehöhlt, die eine Wirtschaft eigentlich dringend braucht. 

Auch die Demokratie gerät in eine Schieflage 

Subventionen schaffen Anspruchsgruppen. Jede Förderung erzeugt ein Publikum, das ihren Fortbestand vehement verteidigt. Politik muss immer mehr Rücksicht auf diese Gruppen nehmen. Reformen werden zu politischen Selbstmordmissionen. Wenn jede Kürzung als „sozial kalt“ oder „wirtschaftsfeindlich“ etikettiert wird, verschwinden langfristige Entscheidungen aus dem politischen Raum. Politiker verlieren Handlungsspielräume, weil sie Wähler verlieren könnten, wenn sie Subventionen antasten. Mutige Reformen mit Langfristperspektive werden vertagt, weil sie kurzfristig unpopulär sind. Der Effekt ist eine Demokratie, die sich selbst blockiert. Veränderungen werden kaum noch mehrheitsfähig, weil zu viele Menschen von bestehenden Förderungen abhängig sind. 

Der Staat wird damit zum Garanten, der Versprechen macht, die er jedoch kaum noch finanzieren kann. Das Vertrauen in die Politik sinkt paradoxerweise trotzdem, weil Erwartungen irgendwann dennoch enttäuscht werden müssen. Die Demokratie verliert ihre Fähigkeit zu Kurswechseln und zu strategischen Entscheidungen. Sie verharrt im Reparaturmodus. 

Mut ist ein Teil des „Rucks“, den wir brauchen 

Ohne Kursveränderung zu Gunsten von Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Risiko entsteht eine Abwärtsspirale von staatlicher Überforderung und individueller Frustration. Staatliche Zahlungen sind Retter in der Not, grundsätzlich muss jeder mit Herausforderungen selbst fertig werden. Daher war das Bürgergeld für die soziale Unterstützung der falsche Begriff und deshalb darf es auf Dauer keinen Zuschuss zum Strompreis oder Sondervergünstigungen für die Gastronomie geben. Die Subventionswirtschaft kostet uns nicht nur Milliarden. Sie kostet uns die Fähigkeit zu Innovation, zu Reform und zu demokratischer Selbststeuerung. Der Preis dafür ist weit höher als jeder Bundeszuschuss. 

Wesentlicher staatlicher Auftrag sind Infrastruktur, Bildung, Forschung, öffentliche Sicherheit. Menschen mit niedrigen Einkommen müssen entlastet werden, damit sie selbstbestimmt leben können. Unternehmen brauchen wettbewerbsfähige Steuersätze und müssen wieder lernen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, statt politisch „förderfähig“. 

Wenn es in diesen Tagen um die Fragen geht, wann und wie es zu einem „Ruck-Moment“ in Deutschland kommt, dann ist die Rückkehr zu dem Mut, den wir uns selbst abtrainiert haben, gefragt. Es ist Zeit für eine Rückkehr zur Eigenverantwortung und zur Freiheit, die Ludwig Erhard einmal als Herzstück unserer Wohlstandsentwicklung bezeichnet hat.